Ferien in der DDR - eine Artikelnachlese
Der Nordkurier ist eine Tageszeitung, die vor allem im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns verbreitet ist. Die Zeitung gab es schon in der DDR, damals hieß sie Freie Erde und war das Presseorgan der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg.
In der Druckausgabe des Nordkurier erschien im August 2019 eine zweiteilige Artikelserie mit der Überschrift Urlaub in der DDR. Den ersten Teil vom 14. August 2019 habe ich in der Druckausgabe vorliegen. Als ich den Artikel las stellte ich fest, dass die Überschriften zu den Erlebnisberichten sehr tendenziös gewählt waren. Der doppelseitige Beitrag enthält neben einer Einführung und Fotos vier Erlebnisberichte. Die Überschriften dieser Erlebnisberichte sind:
- Eltern tuscheln über den Mauerbau
- Die NVA bewacht ihre Ferienkinder
- Reste vom Tisch der Westdeutschen
- Die Wäsche hing, bevor das Zelt stand
Der zuletzt erwähnte Erlebnisbericht ist der kürzeste und vollkommen banal, auf ihn werde ich nicht weiter eingehen. Schauen wir uns die andren drei an.
Eltern tuscheln über den Mauerbau
Hier berichtet eine Frau aus Prenzlau über einen Aufenthalt über das Ferienlager "Boleslaw Bierut" in Zinnowitz auf der Insel Usedom im Sommer 1961, für den ihre Eltern 10 Mark bezahlt hatten. Sie berichtet über Unterbringung und materielle Verhältnisse, über die Freizeitaktivitäten im Ferienlager (Basteln, Sport, Neptunfest, Nachtwanderung) und die Art des Zusammenlebens. Am Ende ihres Berichtes erwähnt die Prenzlauerin einen Elternbesuch im Ferienlager, genau am Sonntag, den 13. August 1961. Sie schreibt: "Unsere [Eltern] kamen am 13. August. Daran erinnre ich mich noch so genau, weil da gerade die mauer in Berlin errichtet wurde und die Eltern sich aufgeregt darüber unterhielten." Aufgeregt unterhalten oder tuscheln?
Die NVA bewacht ihre Ferienkinder
Bewachen kann zweierlei bedeuten: Eine Bewachung zum Schutz oder zur Behinderung der Bewegungsfreiheit (wie im Gefängnis etwa). Eine Leserin aus Gramzow berichtet über mehrere Aufenthalte in einem Ferienlager in Prora auf der Insel Rügen. Der Vater der Leserin ist Zivilbeschäftigter der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA). Das Ferienlager in Prora ist ein Ferienlager der NVA. Es gab in der DDR eine Vielzahl sogenannter Betriebsferienlager. Vor allem größere Betriebe und Einrichtungen verfügten regelmäßig über solche Einrichtungen. Kleinere Betriebe, die selbst nicht über eigenen Ferienlager verfügten, konnten die der anderen mit nutzen.
Die Frau aus Gramzow erwähnt, dass ihre Eltern für den zweiwöchigen Aufenthalt 9 Mark bezahlt haben. Sie vergleicht die Unterbringung mit denen einer Kaserne ( die erwähnten Doppelstockbetten und die großen Gemeinschaftssanitäranlagen waren aber in Ferienlagern sehr weit verbreitet). Auch diese Frau erwähnt die verschiedenen Aktivitäten (Basteln, Neptunfest, Nachtwanderung, Disco, Sportfest, Ausflüge). Über die Bewachung schreibt die Leserin wörtlich: "Heute weiß ich, dass in diesem Ferienlager bis zu 600 bis 800 Kinder untergebracht waren. Doch das störte uns nicht. Wir fühlten uns sicher, da wir immer von den Soldaten bewacht wurden."
Reste vom Tisch der Westdeutschen
Der Autor des dritten Ferienlagerberichtes lebt in Waren an der Müritz, stammt aber aus Gnoien. Sein Vater war in einer Maschinen-Ausleih-Station (MAS) tätig. So eine MAS (spätere Form Maschinen-Traktoren-Station - MTS) verfügte über landwirtschaftliche Geräte und Maschinen, die sie den landwirtschaftlichen Produzenten zur Verfügung stellte, eine Form der sharing economy also, noch bevor das Wort in unserer Sprache auftauchte.
Auch dieser Betrieb verfügte über ein eigenes Ferienlager oder beteiligte sich an den Einrichtungen anderer Betriebe. Der Autor erwähnt Ferienlager in Thüringen und an der Ostsee. Erwähnt werden auch die oft sehr einfachen Transport- und Unterbringungsbedingungen. Dem Alter des Autors gemäß dürften diese Ferienfahrten gegen mit oder Ende der 1950er Jahre stattgefunden haben. Der Transport erfolgte teilweise noch mit Lkw, die provisorisch mit einfachen Holzbänken für den Personentransport hergerichtet worden waren. Geschlafen wurde auch schon mal in einem ehemaligen Hühnerstall auf Strohsäcken. Am Ende erwähnt der Autor, dass es in einem Ferienlager in Ahlbeck auch Gäste aus Westdeutschland gab, die besser beköstigt wurden (Spargel, Tomatensalat, Fischkonserven) als die anderen Gäste (Brot, Margarine, Marmelade, Wurst) und dass die Kinder versuchten, etwas von den Resten der besser versorgten zu erhaschen. Ich vermute, dass es sich bei diesen Westdeutschen um Personen gehandelt haben dürfte, die der Kommunistischen Partei Deutschlands nahe standen. Denen wollte man ein besseres Bild der materiellen Lebensverhältnisse in der DDR suggerieren.
Ich habe den Eindruck, dass hier, bewusst oder unbewusst, immer bestimmte Aspekte der Erlebnisberichte herausgegriffen wurden. Man hätte auch die folgenden Überschriften wählen können:
- Neptunfest und Nachtwanderung waren die Höhepunkte
- 9 Mark für 2 Wochen
- Mit dem Lkw an die Ostsee